03.09.2024
Auch 61 Unternehmen aus Österreich unterstützen scharfen Protest gegen Neue Gentechnik
Ungarns Landwirtschaftsminister und derzeitiger EU-Ratsvorsitzender für Landwirtschaft und Fischerei, Dr. István Nagy (rechts im Bild) nimmt den Offenen Brief von Gunther Weiss (links im Bild), Bereichsverantwortlicher Qualitätsmanagement, Alnatura GmbH entgegen.
Europaweit sehen sich Unternehmen durch die Pläne der EU-Kommission zur Deregulierung der sogenannten neuen Gentechnik (NGT) in ihrer unternehmerischen Freiheit bedroht. Deshalb appellieren sie an den EU-Agrarministerrat, sich für Transparenz, Wahlfreiheit und faire Wettbewerbsbedingungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette einzusetzen.
Stellvertretend für die unterzeichnenden Unternehmen übergab
Gunther Weiss, Leiter Qualitätsmanagement bei Alnatura den
Offenen Brief persönlich an den Minister. Im Gespräch konnten Weiss und
Alexander Hissting, Geschäftsführer vom Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) die Anliegen der Unternehmensinitiative vermitteln. Minister Nagy nahm den Offenen Brief sehr positiv auf. Er bedankte sich bei der Übergabe und im anschließenden Gespräch für die Initiative und zeigte sich bereit, die Anliegen der Unternehmen zu unterstützen, er könne die Bedenken nachvollziehen und stehe voll und ganz hinter den Forderungen. Parallel wurde der Brief an die weiteren EU-Agrarminister:innen versandt.
Forderungen: Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit, Koexistenz- und Haftungsregeln
Die unterzeichnenden Unternehmen begrüßen die vom EU-Parlament geforderte Kennzeichnungspflicht und Rückverfolgbarkeit für alle mit NGT hergestellten Produkte und fordern den EU-Agrarministerrat auf, sich dieser Position anzuschließen. Um weiterhin „Ohne Gentechnik“ produzieren und Wahlfreiheit gewährleisten zu können sowie einen fairen Wettbewerb in der europäischen Lebensmittelbranche zu sichern, sind jedoch zusätzliche weitreichende Maßnahmen notwendig. Die Unterzeichner:innen verlangen neben der Pflicht zur Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit auch verlässliche Nachweismethoden, EU-weit verbindliche, national und regional angepasste Koexistenz-Maßnahmen, Haftungsregeln gemäß dem Verursacherprinzip und einen Entschädigungsfonds für unvermeidbare Kontaminationen.
Der Zeitpunkt für den Offenen Brief ist günstig. Die EU-Agrarminister:innen konnten sich bisher auf keine gemeinsame Position zu den Deregulierungsplänen der EU-Kommission einigen. Erst wenn dies geschehen ist, kann der für ein EU-Gesetzgebungsverfahren notwendige Trilog beginnen.
Stellvertretend für alle Unterzeichnenden machen Persönlichkeiten der europäischen Lebensmittelwirtschaft in ihren Statements deutlich, welche Konsequenzen eine Neuregulierung in der geplanten Form für ihr Unternehmen und für Verbraucher:innen hätte und welche Forderungen sie stellen.
Mag. Markus Kaser, SPAR Österreich, Vorstand: „Ohne verpflichtende Kennzeichnung von jeglicher Gentechnik in Lebensmitteln gibt es keine Transparenz und damit keine Wahlfreiheit am SPAR-Regal. Dabei sind wir nicht gegen technischen Fortschritt per se, sondern für die Wahlfreiheit der Kund:innen.“
Kerstin Erbe, dm-drogeriemarkt, Geschäftsführerin Produktmanagement und ökologische Nachhaltigkeit: „Wir verpflichten uns aufgrund unserer Unternehmenskultur, den Menschen in Deutschland und weiteren 13 europäischen Staaten, in denen wir dm-Märkte betreiben, natürliche und gesunde Produkte sowie umfassende und eindeutige Informationen zu diesen Produkten anzubieten. Bürgerinnen und Bürger müssen sich so vollständig wie möglich darüber informieren können, was sie konsumieren.“
Ulrich Zuenelli, A. Loacker AG, Geschäftsführender Vorstand: „Unsere Produkte sind weltweit gefragt. Viele Importländer fordern Transparenz über den Einsatz der Gentechnik einschließlich NGT. Wenn wir nicht wissen, was wir in unseren Produkten einsetzen, können wir die Anforderungen unserer Geschäftspartner nicht mehr erfüllen und drohen wichtige Exportmärkte zu verlieren. Zur Sicherung gentechnikfreier Lieferketten fordern wir Kennzeichnungspflicht und Koexistenz-Maßnahmen.“
Prof. Dr. Götz E. Rehn, Alnatura, Gründer und Geschäftsführer: „Auch für die neue Gentechnik gilt: Kunden wollen frei wählen können, ob sie diese Technik auf dem Teller haben wollen oder nicht. Dafür braucht es klare Regeln zur Koexistenz in der Landwirtschaft, eine lückenlose Transparenz und die Deklaration auf allen Produkten.“
Heinz Kaiser, Schwarzwaldmilch, Geschäftsleitung Landwirtschaft/Produktion/Logistik: „Als mittelständische Molkerei setzen wir zusammen mit unseren über 800 Milchbauern seit Jahrzehnten auf Gentechnikfreiheit unserer Produktpalette. Die Deregulierungspläne der EU-Kommission sind existenzbedrohend, weil sie die Koexistenz der Produktionssysteme „mit und ohne Gentechnik“ aufs Spiel setzen. Wir brauchen verbindliche nationale sowie regional angepasste Koexistenz-Maßnahmen für einen fairen Wettbewerb.“
Fréderic Faure, Biocoop, Vizepräsident: „Seit der Einführung von Gentechnik ist Biocoop gegen diese Technologie und die daraus entstehenden Produkte. Unsere Standards verbieten allen Lieferanten GVO zu nutzen. Biocoop sieht eine Reihe von Gefahren der „alten“ Gentechnik (GVO) und der „neuen" Gentechnik (NGT): Darunter die Patentierbarkeit, eine zusätzliche Abhängigkeit der Landwirte von der Saatgut- und Pestizidindustrie, die Auskreuzung in die Umwelt und dadurch negative Auswirkungen auf die Biodiversität. Wir fordern NGT-Regelungen der EU, die das Leben schützen.“
Der Offene Brief ist eine Initiative der deutschen erstunterzeichnenden Unternehmen Alb-Gold Teigwaren GmbH, Alnatura Produktions- und Handels GmbH, Andechser Molkerei Scheitz GmbH, Milchwerke Berchtesgadener Land Chiemgau eG, dm-drogerie markt GmbH + Co. KG, Frosta Tiefkühlkost GmbH.
Hintergrundinformationen:
Im Sommer 2023 stellte die EU-Kommission ihren Entwurf zur Neufassung des Gentechnikrechts vor und schockierte mit dem Vorschlag einer weitgehenden Aufhebung der Risikoprüfung und Kennzeichnungspflicht für Produkte der neuen Gentechnik (NGT). Gemäß dem Entwurf sollen fast alle NGT-Pflanzen herkömmlich gezüchteten Pflanzen gleichgestellt werden und nicht mehr als gentechnisch verändert (GV) gekennzeichnet werden. Die Deregulierungspläne machen die Wahlfreiheit zunichte und stoßen auf die Ablehnung vieler Verbraucher:innen. Auf Seiten der Lebensmittelwirtschaft hat der Gesetzesentwurf große Besorgnis und viel Kritik ausgelöst. Insbesondere die Bio- und die Ohne-Gentechnik-Wirtschaft sehen sich existentiell gefährdet und haben das in dem Offenen Brief zum Ausdruck gebracht.